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KI und mündliche Literaturprüfungen: Was uns die Parallelen über beide Systeme lehren

In der aktuellen Diskussion um Künstliche Intelligenz suchen wir häufig nach Analogien, um diese neue Technologie besser zu verstehen. Als Gymnasiallehrpersonen verfügen wir über einen besonders interessanten Vergleichspunkt: die mündliche Maturaprüfung. Diese Analogie ermöglicht uns nicht nur ein tieferes Verständnis von KI-Systemen, sondern auch neue Erkenntnisse über unsere eigene pädagogische Praxis.

Die fundamentale Bedeutung von Wissen

Seit Jahren betonen wir gegenüber unseren Schülerinnen und Schülern die Notwendigkeit, literarische Werke im Original zu lesen. Weder Zusammenfassungen noch Sekundärliteratur oder Verfilmungen können das eigentliche Werk ersetzen. Diese Grundhaltung findet ihre bemerkenswerte Entsprechung in der Funktionsweise von KI-Systemen.

 

 

Wenn wir mit einem Large Language Model (LLM) arbeiten, entspricht der literarische Text dem "Knowledge", mit dem wir das System "füttern" - sei es als "special knowledge" in einem CustomGPT oder als Quelle in einem NotebookLM. Ohne dieses spezifische Wissen gleicht das KI-System einem intelligenten Schüler, der sein Buch nicht gelesen hat: Es kann zwar beeindruckend über allgemeine Themen sprechen, verfehlt aber den Kern der eigentlichen Aufgabe.

Die Kunst der Verschleierung und das Phänomen der "Halluzination"

Eine besonders aufschlussreiche Parallele zeigt sich im Umgang met fehlendem Wissen

Sowohl begabte Schüler als auch KI-Systeme entwickeln erstaunliche Strategien, um Wissenslücken zu kaschieren. Sie produzieren plausibel klingende Aussagen auf Basis ihres Allgemeinwissens. In der Prüfungssituation erkennen wir dieses Verhalten an kleinen Unstimmigkeiten - in der KI-Terminologie sprechen wir von "Halluzinationen".

Mustererkennung und analytische Kompetenz

Die eigentliche Interpretation - sei es eines literarischen Werks oder eines Datensatzes - basiert auf Mustererkennung. Hier zeigen sich interessante Parallelen zwischen neuronalen Netzen und dem menschlichen Gehirn. Ein leistungsfähigeres System (sei es ein "gescheiter Schüler" oder ein fortgeschrittenes LLM) erkennt nicht nur mehr Muster, sondern erfasst diese auch qualitativ besser.

Jedoch reicht die reine Mustererkennung nicht aus. Die erkannten Muster müssen strukturiert und analysiert werden. Hier kommt die methodische Kompetenz ins Spiel:

 

-       Beim Schüler: die erlernte Fähigkeit zur strukturierten Analyse

 

-       Bei der KI: präzise Prompts oder algorithmische Anleitungen

Fazit: Die zwei Säulen des Erfolgs

Der Erfolg basiert in beiden Fällen auf zwei fundamentalen Säulen:

 

-       Fundiertes Wissen (gelesener Text/eingegebenes Knowledge)

-       Methodische Kompetenz (Analysefähigkeit/präzise Prompts)

Diese Analogie verdeutlicht: So wie wir unsere Schülerinnen und Schüler nicht nur zum Lesen anhalten, sondern ihnen auch das methodische Werkzeug zur Analyse vermitteln müssen, so müssen wir KI-Systeme sowohl mit relevanten Daten als auch mit präzisen Verarbeitungsanweisungen ausstatten.

 

 

Für uns als Lehrpersonen bietet diese Parallele wertvolle Einsichten - sowohl für den Umgang mit KI als auch für unsere pädagogische Praxis. Sie bestätigt die Wichtigkeit unserer traditionellen Forderung nach gründlicher Textarbeit und zeigt gleichzeitig, wie modern und relevant dieser Ansatz im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz ist.

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