Künstliche Intelligenz (KI) hat in den letzten Jahren rasant an Bedeutung gewonnen und ist längst im schulischen Alltag angekommen. Insbesondere an Gymnasien, wo fast alle Schülerinnen und Schüler der oberen Klassen bereits über private ChatGPT-Accounts verfügen, stellt sich nicht mehr die Frage ob, sondern wie KI sinnvoll und rechtlich korrekt eingesetzt werden kann. Dieses Kapitel beleuchtet drei zentrale Anwendungsszenarien und gibt praktische Handlungsempfehlungen für Lehrpersonen.
1. Nutzung durch die Lehrperson mit persönlichem Account
Vorteile bei der Unterrichtsvorbereitung und -nachbereitung
Viele Lehrpersonen entdecken, wie KI-Modelle sie bei der Planung und Gestaltung von Unterrichtsmaterialien unterstützen können. ChatGPT oder ähnliche Tools generieren in Sekundenschnelle:
- Arbeitsblätter und Quizfragen zu einem Thema
- Kurze Zusammenfassungen oder Erklärungen für komplexe Sachverhalte
- Textkorrekturen und sprachliche Überarbeitungen
Der grösste Nutzen entsteht bei Routineaufgaben, wenn Lehrpersonen beispielsweise für den Fremdsprachen- oder Deutschunterricht wiederkehrende Übungsformen benötigen. KI kann erste Entwürfe vorschlagen, die anschliessend didaktisch angepasst werden.
Datenschutz: Keine personenbezogenen Schülerdaten eingeben
Ein heikler Punkt ist die Eingabe echter Schülerarbeiten zur Korrektur oder für Feedback in einer öffentlich verfügbaren KI (z. B. mittels eines Privataccounts bei ChatGPT). Sämtliche Inhalte, die man in der Prompt-Eingabe verwendet, werden in der Regel auf den Servern des KI-Anbieters verarbeitet und (je nach Anbieter) gespeichert. Aus datenschutzrechtlicher Sicht bedeutet das:
- Keine schüleridentifizierenden Daten (Name, Matrikelnummer, spezifische Leistungsdaten) eingeben.
- Anonymisierung oder Pseudonymisierung verwenden: Die Arbeit darf keine Rückschlüsse auf die Identität der Schüler/innen zulassen.
- Vorsicht bei sensiblen Inhalten: Gesundheitsinformationen, Notenkommentare oder ähnliche Personendaten sind besonders geschützt und dürfen nicht an externe Dienste gesendet werden.
Zwar kann das Einbinden von Schüleraufsätzen in eine KI zur Voranalyse Zeit sparen, doch rechtlich (und ethisch) ist das ohne eine ausreichende datenschutzkonforme Lösung nur zulässig, wenn die Texte derart anonymisiert sind, dass kein Rückschluss auf eine konkrete Person möglich ist.
Rechtlicher Rahmen: Schulisch oder privat?
Beim Einsatz von KI über private Accounts müssen Lehrpersonen beachten, dass die Eingaben von KI-Unternehmen häufig für Trainingszwecke genutzt werden. ChatGPT bietet inzwischen in den Einstellungen unter "Data Controls" die Möglichkeit, das Speichern von Chatverläufen und deren Verwendung für das Training neuer Modelle zu deaktivieren. Diese Option sollte aktiviert werden, um das Risiko einer Weiterverwendung sensibler Informationen zu minimieren.
Lehrpersonen, die Wert auf Rechtssicherheit und Datenschutz legen, können auf die Team-Pläne von OpenAI zurückgreifen (mindestens zwei kostenpflichtige Accounts erforderlich). Diese ermöglichen den Abschluss eines Auftragsdatenverarbeitungsvertrags (ADV), der erhöhte rechtliche Sicherheit bezüglich der Datennutzung gewährleistet.
Empfohlen wird daher, in persönliche KI-Accounts keine sensiblen Daten einzugeben. Die Nutzung für die reine Ideenfindung – beispielsweise die Anfrage "Erstelle einen Aufgabentext zum Thema Genetik für die 9. Klasse" – ist hingegen unbedenklich.
2. Einsatz im Klassenzimmer und im Klassenverband
Warum sich kollektive KI-Nutzung oft schwierig gestaltet
Die Stärken moderner KI liegen vor allem in der individuellen Interaktion – man stellt eine Frage und erhält personalisierte Antworten. In einer Klassen-Situation wird jedoch schnell deutlich, dass:
- Login-Pflicht: Gängige KI-Systeme (z. B. ChatGPT) erfordern meist einen individuellen Account ab einem bestimmten Mindestalter (oft 13 oder 18 Jahre). Lehrpersonen dürfen Schüler/innen aber nicht zwingen, sich einen privaten Account zu erstellen und damit persönliche Daten preiszugeben.
- Datenschutz: Wenn Schüler/innen ungefiltert mit einem US-basierten Dienst interagieren, ist unklar, welche Inhalte (Chat-Verläufe, personenbezogene Daten) auf fremden Servern landen. Ohne entsprechenden Vertrag mit dem Anbieter bewegt man sich in einer Grauzone.
- Hoher Organisationsaufwand: Selbst wenn eine Schule kurzfristig Klassenzugänge herstellen will, müssen Eltern informiert werden, Altersgrenzen beachtet und Einverständniserklärungen eingeholt werden.
In der Praxis kommt es daher nur selten zur direkten Nutzung von ChatGPT im Klassenverband mit individuellen Accounts. Vielmehr werden Alternative-Lösungen diskutiert.
Plattformen ohne Schüler-Login: Fobizz, SchulKI
Als Antwort auf die rechtliche Problematik gibt es mittlerweile KI-Plattformen speziell für Schulen. Beispiele sind:
- Fobizz: Ermöglicht Schulen und Lehrkräften, KI-Werkzeuge (z. B. ChatGPT oder andere Modelle) ohne personalisierte Schülerkonten einzusetzen. Die Klasse erhält statt eigener Accounts lediglich Codes, über die sie Zugang hat. Allerdings werden Anfragen dabei in der Regel an Server in den USA weitergeleitet.
- SchulKI: Ein ähnliches Konzept, bei dem auf europäischen Servern gehostete KI-Modelle laufen. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich nicht registrieren und geben somit keine persönlichen Daten preis. SchulKI setzt auf schwächere Open-Source-Modelle, die in Europa gehostet werden.
Bei solchen Lösungen haben Schulen i. d. R. Verträge (sogenannte Auftragsdatenbearbeitungsverträge) mit den Anbietern, die den Datenschutz regeln. Damit werden rechtliche Risiken minimiert. Allerdings fallen Lizenzkosten an, und es bleibt wichtig, die Eingabe von Personendaten zu unterbinden.
Lokale Open-Source-Modelle (z.B. Mistral 7B)
Möchte eine Schule KI lokal betreiben, um höchstmöglichen Datenschutz zu gewährleisten, kommen Open-Source-Modelle wie etwa Mistral 7B ins Spiel. Diese können auf eigenen Servern (oder leistungsstarken Rechnern) laufen. Vorteil:
- Daten verlassen das Schulnetz nicht.
- Klares Mitbestimmungsrecht: Keine Weiterverwendung der Eingaben durch Dritte.
Doch es gibt erhebliche Hürden:
- Technischer Aufwand: Die Schule braucht leistungsstarke Hardware (GPUs) und IT-Personal, das das Modell installiert, konfiguriert und aktualisiert.
- Leistungsunterschied: Modelle wie Mistral 7B sind derzeit spürbar langsamer und schwächer in ihrer Sprachkompetenz als Systeme wie GPT-4 oder Google Gemini.
- Keine Multimodalität: Anders als bei den grossen Cloud-KI-Lösungen (z. B. ChatGPT oder Google Gemini, die mittlerweile auch Sprach oder Bild-Inputs akzeptieren) beherrschen typische Open-Source-Modelle im Moment kaum Bild- und Sprachbearbeitung. Dies schränkt den Einsatz zum Beispiel im Fremdsprachenunterricht erheblich ein.
Seltenere Nutzung im Klassenverband
Da Individualisierung eigentlich die grösste Stärke der KI ist, kommt sie im klassischen Präsenzunterricht mit der ganzen Gruppe vergleichsweise selten zum Einsatz. Denkbare Einsatzszenarien sind:
- Deutschunterricht: „Prompting“ und Schreibübungen üben (z. B. Stilkorrekturen) in einer gemeinsamen Session.
- Informatik: KI verstehen und testen (Fehler provozieren, Halluzinationen aufdecken).
In vielen Fällen bleibt es bei demonstrativen Anwendungen (Lehrperson nutzt Beamer) oder bei Fachprojekten, wo die Klasse einen geteilten KI-Zugang (z. B. über Fobizz) ausprobiert. Auf diese Weise lernen die Schülerinnen und Schüler, wie KI-Modelle funktionieren, ohne dass für jeden ein persönlicher Account nötig ist.
3. Individuelle Nutzung durch Schülerinnen und Schüler
Tutorprogramme und Recherchetools
Viele Schülerinnen und Schüler (insbesondere in den oberen Jahrgangsstufen) verfügen inzwischen nahezu alle über einen persönlichen Account bei ChatGPT oder einem vergleichbaren Dienst – oft rein privat, unabhängig von der Schule. Über solche privaten Accounts nutzen sie KI regelmässig:
- Individuelle Nachhilfe: Tutorprogramme wie „CustomGPT“ oder ähnliche können auf bestimmte Fächer spezialisiert sein und Schritt-für-Schritt-Hilfe anbieten.
- Recherche-Assistenten: KI-Chatbots liefern erste Zusammenfassungen und Literaturhinweise, was besonders bei grösseren Projekten (z. B. Maturaarbeit, Seminararbeit) Zeit spart.
Freiwillige Nutzung statt Pflicht
Darf man als Lehrperson solche Tools verlangen? Grundsätzlich nein, wenn das die Erstellung eines persönlichen Accounts erfordert. Schülerinnen und Schüler dürfen nicht gezwungen werden, datenschutzrelevante Verträge mit externen Unternehmen abzuschliessen. Stattdessen:
- Freiwilligkeit: Die Lehrperson kann KI-Angebote empfehlen oder als Option vorschlagen („Ihr könnt euch zusätzliche Erklärungen von einem KI-Tutor holen“), aber keinen Zwang ausüben.
- Aufklärung: Es ist wichtig, die Klasse und ggf. die Eltern transparent zu informieren, welche Risiken (z. B. unkritische Übernahme falscher Inhalte, Speicherort der Daten) damit verbunden sind.
In der Realität verwenden viele Gymnasiast/innen solche Angebote längst, um eigenständig zu lernen oder Hausaufgaben zu erleichtern. Schulen sollten das Thema nicht ignorieren, sondern begleitend aufklären und Regeln für den Umgang (z. B. Quellenangaben, Kennzeichnung von KI-Hilfen) definieren.
Stärken: Personalisierung und individuelle Förderung
Der grösste Vorteil von KI im Bildungsbereich liegt zweifellos in der Individualisierung:
- Schnell und rund um die Uhr verfügbar, um Fragen zu beantworten.
- Schrittweises Feedback, das sich an das jeweilige Niveau des Lernenden anpasst.
- Möglichkeit, gezielt Schreibübungen, Fremdsprachen-Dialoge oder Lösungshinweise für mathematische Aufgaben zu erhalten.
Gerade in grossen Klassen ist es schwer, allen Schüler/innen kontinuierlich personalisiertes Feedback zu geben. Hier schliessen KI-Tutorien eine Lücke – vorausgesetzt, die Schüler/innen haben die Kompetenz, die KI kritisch zu nutzen und Fehler zu erkennen.
Leitlinien für einen verantwortungsvollen KI-Einsatz im Gymnasium
Zwischen Datenschutz und sinnvollem Einsatz vermitteln Der schulische Einsatz von KI befindet sich in einer Übergangsphase, in der technische Möglichkeiten und juristische Anforderungen noch nicht vollständig austariert sind. Für Lehrpersonen und Bildungsbehörden empfehlen sich folgende Grundsätze:
- Bei persönlicher KI-Nutzung der Lehrkraft: Keine personenbezogenen Schülerdaten in frei zugängliche KI-Dienste eingeben. Bei Korrektur- oder Feedback-Prozessen nur mit anonymisierten oder fiktiven Texten arbeiten.
- Einsatz im Klassenverband: Statt verpflichtender individueller Accounts auf schulische KI-Plattformen wie Fobizz oder SchulKI setzen. Lokale Open-Source-Lösungen bieten maximalen Datenschutz, sind aber technisch aufwendiger und weniger leistungsfähig.
- Individuelle Nutzung durch Schülerinnen und Schüler: Die freiwillige Nutzung von KI-gestützten Tutor- und Recherche-Tools ermöglichen und durch Vermittlung von Medienkompetenz begleiten. Besonders für selbstständiges Lernen, Hausaufgaben und Projektarbeiten bietet KI wertvolle Unterstützung.
Mit dieser Balance wird KI zu einem hilfreichen Werkzeug im Gymnasialunterricht – ohne die Rechte der Lernenden zu gefährden. Zentral bleiben dabei die kritische Überprüfung der KI-Ergebnisse und die Transparenz der Lernprozesse.
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