Die Plattform Fobizz wirbt damit, Lehrkräfte bei der Digitalisierung des Unterrichts zu unterstützen: Angefangen bei virtuellen Klassenräumen über KI-gestützte Arbeitsblattgeneratoren bis hin zu Korrekturassistenten. Gerade für den Schulalltag – etwa in einem Schweizer Gymnasium – wirkt ein solches Komplettangebot auf den ersten Blick attraktiv. Tatsächlich gibt es nicht viele Plattformen, die eine ähnliche Palette an Funktionen mit einem datenschutzkonformen Rahmen und einer deutschsprachigen Benutzeroberfläche verbinden.
Doch wie gut ist Fobizz wirklich? Hält die technische Umsetzung mit den neuesten KI-Entwicklungen Schritt? Und eignet sich die Plattform für Lehrpersonen, die mehr erwarten als nur Standard-Aufgabenblätter? Ein genauer Blick enthüllt deutliche Einschränkungen – insbesondere, wenn man Fobizz mit den direkten KI-Zugängen von OpenAI, Anthropic oder Google vergleicht.
Was Fobizz gut kann
1. Virtuelle Klassenräume und Datenschutz
Eine Stärke von Fobizz ist die Möglichkeit, geschützte Klassenräume einzurichten. Ohne dass Schüler*innen eigene Konten anlegen müssen, können Lehrkräfte ihnen KI-Funktionen bereitstellen – vom Chat-Tool für Textfragen bis hin zum einfachen Bildgenerator. Dieses Vorgehen ist datenschutzrechtlich relativ sauber gelöst, da sämtliche Interaktionen in einem separaten Bereich stattfinden und nach einiger Zeit automatisch gelöscht werden.
2. Leichter Einstieg und vorgefertigte Vorlagen
Fobizz bietet Prompt-Lab-Vorlagen (z. B. für Zusammenfassungen oder Feedback) sowie integrierte Assistenten, mit denen in wenigen Klicks fertige Arbeitsblätter oder Quizze entstehen. Für Lehrpersonen, die wenig Erfahrung mit KI-Prompting haben, ist das eine grosse Erleichterung. Anstatt sich mühsam in die Nuancen von GPT oder Claude einarbeiten zu müssen, kann man auf vordefinierte Eingabevorlagen setzen. Für Routineaufgaben – wie das Erstellen von Vokabelübungen, Lückentexten oder Quizfragen – reicht das meist vollkommen aus.
3. Basis-Korrektur und Schnelligkeit
Durch die Anbindung von Modellen wie GPT-3.5, GPT-4 lassen sich Rechtschreib- oder Grammatikfehler in Texten automatisiert markieren und teils korrigieren. Auch Mathematikaufgaben kann Fobizz meist verlässlich lösen, wenn Wolfram Alpha im Hintergrund herangezogen wird. So lassen sich Standard-Matheblätter schnell generieren, inklusive (oft) korrekter Lösungen. Auf den ersten Blick beschleunigt das die Unterrichtsvorbereitung erheblich.
Die gravierenden Einschränkungen
Trotz dieser Vorteile zeigen sich in der Praxis grosse Lücken, wenn man höhere Ansprüche an die KI-Unterstützung stellt oder mit neueren KI-Diensten vergleicht.
1. Veraltete bzw. beschnittene KI-Modelle
Fobizz rühmt sich, OpenAI GPT-4 sowie Modelle von Claude, Aleph Alpha und LAION Open-Assistant einzubinden. Die Realität ist jedoch:
1. Keine Integration der neuesten Modellversionen: Obwohl Fobizz auf Modelle wie GPT-4 oder Claude verweist, handelt es sich um Versionen, die den Stand vom Herbst 2023 widerspiegeln – also in etwa 1,5 Jahre alt sind. Mittlerweile existieren deutlich leistungsfähigere KI-Systeme wie ChatGPT 4.5, Claude 3.7 oder Google Gemini 2.5, die bei Fobizz aber (noch) nicht integriert wurden. In der Praxis bedeutet das, dass man mit Tools arbeitet, die in Bezug auf Feinheiten in der Sprachanalyse, beim Kontextverständnis und in der Vermeidung von Halluzinationen hinter den aktuellsten Entwicklungen zurückbleiben.
Zudem werden gerade in Gymnasien auch immer mehr technisch versierte Schüler*innen mit moderner Technologie konfrontiert, die die Leistungsfähigkeit der neuesten Modelle kennen und schätzen. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit es sachlich vertretbar oder gar lächerlich wirkt, wenn Lehrpersonen in ihrem Unterricht auf ein Tool zurückgreifen, das gegenüber den direkt zugänglichen, aktuellen KI-Generationen deutlich in der Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist.
2. Begrenztes Kontextfenster und erhöhtes Halluzinationsrisiko: Fobizz arbeitet üblicherweise mit einem Kontextfenster von rund 4096 Token (etwa 3000 Wörtern), was zwar für kleine Arbeitsblätter und kurze Aufgaben ausreichend sein mag, aber bei längeren Texten, Projektarbeiten oder komplexen Analysen schnell an seine Grenzen stösst. Im Gegensatz dazu verarbeiten moderne KI-Modelle wie ChatGPT, Claude oder Googles Gemini zwischen 200.000 und über 1.000.000 Token. Das ermöglicht es, ganze Bücher oder umfangreiche Dokumente in einem Durchgang zu analysieren und Fragen dazu zu beantworten. Zudem steigt bei einem kleinen Kontextfenster die Gefahr von Halluzinationen: Sobald wichtige Teile des Textes aus dem "Gedächtnis" verschwinden, beginnt die KI vermehrt, Inhalte "hinzuerfinden" oder inkonsistent wiederzugeben. Moderne Systeme, die wesentlich mehr Text gleichzeitig erfassen können, liefern dadurch in der Regel deutlich präzisere und kohärentere Ergebnisse.
Der technische Fortschritt ist längst weiter. Wer direkt auf OpenAI, Anthropic oder Google zugreift, hat weit leistungsfähigere Modelle mit höherem Kontextumfang, mehr Zuverlässigkeit und selteneren Halluzinationen.
2. Fehlender „Advanced Voice“-Modus
Während ChatGPT & Co. inzwischen vollwertige Sprachdialoge bieten (man spricht ins Handy, GPT antwortet mit natürlich klingender Stimme), kommt Fobizz nur mit Text-to-Audio und Audio-zu-Text als umständlicher Workaround. Ein nahtloser mündlicher Dialog (z. B. für Sprechübungen im Fremdsprachenunterricht) existiert nicht.
- Für Unterrichtssettings, in denen das Sprechen trainiert wird, ist das ein erheblicher Nachteil. Es entsteht zwar ein Chat-Bot, aber eben nur textbasiert.
- Moderne Ansätze – etwa ChatGPT Vision, das sowohl Bilder als auch Sprache erkennt und kontextualisiert – sind in Fobizz gar nicht integriert.
3. Kein dediziertes Reasoning-Modul für Schüler*innen
Inzwischen existieren spezielle KI-Modelle, die komplexe Denk- und Argumentationsschritte abbilden können – etwa chain-of-thought-Modelle oder ChatGPT’s „Advanced Reasoning“. Bei Fobizz aber:
- Bekommt man das klassische „Frage-Antwort-Schema“ ohne dass die KI selbstständig weiterdenkt oder Tools flexibel ansteuert. Ein mehrschrittiger Workflow ist nicht möglich.
- Vor allem Schüler*innen werden mit einer deutlich abgespeckten KI konfrontiert. Gerade in den MINT-Fächern wäre es spannend, wenn die KI ein mehrstufiges Argument schlüssig darlegt – das bleibt bei Fobizz (zumindest für Lernende) Wunschdenken.
4. Inkonsistente Korrekturqualität und Halluzinationen
Wie alle grossen Sprachmodelle neigt auch das Fobizz-Backend dazu, gelegentlich fehlerhafte oder "erfundene" Angaben zu machen. Zwar wird seitens Fobizz betont, dass externe Werkzeuge wie Wolfram Alpha herangezogen werden können, um korrekte Lösungen zu verifizieren, doch gibt es zahlreiche Erfahrungsberichte, wonach die Korrekturhilfen häufig inkonsistente Bewertungen liefern und sich insbesondere in Details widersprechen. Wer beispielsweise Schüleraufsätze hochlädt, erhält mitunter unzuverlässige Rückmeldungen, die teilweise standardisierte Floskeln oder widersprüchliche Kommentare beinhalten.
Hinzu kommt, dass die automatische Korrektur – gerade im Rahmen der Leistungsbewertung – nach den Vorgaben des EU AI Act als ein hochsensibler Bereich eingestuft wird. Die daraus resultierenden Risiken, etwa Verzerrungen oder fehlerhafte Urteile, machen deutlich, dass eine rein automatisierte Bewertung nicht ohne Weiteres übernommen werden darf. Lehrpersonen sollten daher in jedem Fall selbst korrigieren oder die KI-Ergebnisse einer sorgfältigen manuellen Prüfung unterziehen, um eine faire und fundierte Leistungsbeurteilung zu gewährleisten.
5. Kaum Freiheit für individuelle Plugins oder vertiefte Konfiguration
Die geschlossene Plattform Fobizz erlaubt weder das einfache Hinzufügen neuer Plugins (wie es z. B. ChatGPT mit seiner Plugin-Schnittstelle anbietet) noch eine tiefe Systemprompt-Steuerung, die Profis bei Anthropic oder in der OpenAI-API gerne nutzen.
- Wer beispielsweise ein wissenschaftliches Plugin, ein spezielles Übersetzungstool oder ein Calculation-Tool integrieren möchte, muss draussen bleiben – Fobizz erlaubt nur vordefinierte Integrationen (etwa Websuche oder Wolfram).
- Didaktische Szenarien, in denen man ein KI-Modell so feintunen will, dass es exakt zum Unterrichtspensum und -stil passt, sind in Fobizz ebenfalls ausgeschlossen.
Praktische Konsequenzen für Lehrpersonen
1. Einsatz im Klassenverband
Fobizz zeichnet sich durch eine schnelle, datenschutzkonforme Integration in den Schulalltag aus. Dank der integrierten Klassenraumverwaltung und konformen Oberfläche können Lehrpersonen mühelos ein Szenario realisieren, in dem alle Schüler gleichzeitig Texte verfassen und direktes Feedback von der KI erhalten – ohne, dass einzelne Nutzer private Konten einrichten oder sich unkontrolliert auf externen Diensten bewegen müssen. Insbesondere für Routineaufgaben wie kurze Schreibimpulse, Vokabelübungen und Quizze bietet die Plattform einen unkomplizierten Einstieg, der auch in Klassen mit unterschiedlichem Digitalisierungsgrad praktikabel ist.
2. Anspruchsvollere Unterrichtsvorbereitung: Direkte KI-Tools bevorzugen
Sobald die Vorbereitung komplexerer Aufgaben ansteht, etwa beim Aufarbeiten längerer Texte, bei tiefgehenden literarischen Analysen, fächerübergreifenden Projekten oder der Erstellung hochindividualisierter Übungsblätter, stösst Fobizz an seine Grenzen.
- Kontextverarbeitung: Moderne Modelle wie Claude 3.5 oder Googles Gemini können wesentlich grössere Textmengen (bis zu 100.000 bzw. über 1.000.000 Token) in einem Durchgang verarbeiten. Wer beispielsweise 50 Seiten Material analysieren möchte, profitiert von dieser Fähigkeit – eine Funktion, die bei Fobizz mit seinem Limit von ca. 4096 Token nicht gewährleistet ist.
- Multimodale und sprachliche Funktionen: Während Fobizz überwiegend textbasierte Antworten liefert, ermöglichen aktuellere Systeme zudem interaktive Voice-Funktionen und multimodale Anwendungen, sodass beispielsweise englische Essays nicht nur geprüft, sondern auch mündlich diskutiert oder visuelle Darstellungen einbezogen werden können.
- Reasoning und Kreativität: Direkt zugängliche KI-Tools bieten eine ausgefeiltere Logik und ein höheres Mass an Kreativität. Sie liefern damit tiefere Analysen und weniger Halluzinationen, was gerade bei der Erstellung anspruchsvoller Unterrichtsmaterialien von grossem Vorteil ist.
3. Fazit – Was bleibt unter dem Strich?
Fobizz stellt einen effizienten und sicheren Einstieg in den schulischen KI-Einsatz dar – besonders im regulären Klassenverband und für Routineaufgaben. Die Plattform besticht durch ihre einfache Bedienung und den datenschutzkonformen Verwaltungsrahmen, der den administrativen Aufwand minimiert.
Für Lehrpersonen, die ihre Unterrichtsvorbereitung und -nachbereitung auf ein höheres Niveau heben möchten – beispielsweise durch tiefgehende Analysen, kreativen Materialeinsatz oder
umfangreiche, multimodale Funktionen – bieten direkte Zugänge zu den neuesten KI-Systemen (wie GPT-4 mit aktuellen Updates, Claude 3.5/3.7 oder Google Gemini) klare Vorteile. Diese Systeme
ermöglichen nicht nur eine deutlich höhere Leistungsfähigkeit im Reasoning und Kontextverständnis, sondern liefern auch verlässlichere und innovativere Ergebnisse.
Kurzum: Warum sich mit einem veralteten „Trabi“ zufriedengeben, wenn moderne KI-Systeme quasi als „Bentley“ bereitstehen?
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